bBerg Phikeion, bei Theben, Böotien
Eben als jene Bekanntmachung öffentlich verkündigt wurde, betrat Ödipus an seinem Wanderstab die Stadt Thebe. Die Gefahr, wie ihr Preis reizten ihn, zumal da er das Leben, wegen der drohenden Weissagung, die über ihm schwebte, nicht hoch anschlug. Er begab sich daher nach dem Felsen, auf dem die Sphinx ihren Sitz genommen hatte, und ließ sich von ihr ein Rätsel vorlegen. Das Ungeheuer gedachte dem kühnen Fremdling ein recht unauflösliches aufzugeben, und ihr Spruch lautetet also: “Es ist am Morgen vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend dreifüßig. Von allen Geschöpfen wechselt es allem mit der Zahl seiner Füße; aber eben wenn es die meisten Füße bewegt, sind Kraft und Schnelligkeit seiner Glieder ihm am geringsten.” Ödipus lächelte, als er das Rätsel vernahm, das ihm selbst gar nicht schwierig erschien. “Dein Rätsel ist der Mensch,” sagte er, “der am Morgen seines Lebens, so lang er ein schwaches und kraftloses Kind ist, auf seinen zweien Füßen und seinen zwei Händen geht; ist er erstarkt, so geht er am Mittage seines Lebens nur auf den zweien Füßen; ist er endlich am Lebensabend als ein Greis angekommen, und der Stütze bedürftig geworden, so nimmt er den Stab als dritten Fuß zu Hilfe.”
Schwab Erster Teil / Fünftes Buch / Kapitel 2 / Absatz 1