in Delphi, Phokis
Endlich griff er heimlich zum Wanderstab, und ohne seinen Eltern ein Wort zu sagen, suchte er das Orakel zu Delphi auf, und hoffte von ihm eine Widerlegung der ehrenrührigen Beschuldigung zu vernehmen. Aber Phöbus Apollo würdigte ihn dort keiner Antwort auf seine Frage, sondern deckte ihm nur ein neues, weit grauenvolleres Unglück, das ihm drohte, auf. “Du wirst,” sprach das Orakel, “deines eigenen Vaters Leib ermorden, deine Mutter heiraten, und den Menschen eine Nachkommenschaft von verabscheuungswürdiger Art zeigen.” Als Ödipus dieses vernommen hatte, ergriff ihn unaussprechliche Angst, und da ihm sein Herz doch immer noch sagte, daß so liebevolle Eltern, wie Polybus und Merope, seine rechten Eltern sein müßten, so wagte er es nicht in seine Heimat zurückzukehren, aus Furcht, er mochte, vom Verhängnisse getrieben, Hand an seinen geliebten Vater Polybus legen und, von den Göttern mit unwiderstehlichem Wahnsinne geschlagen, ein verruchtes Ehebündniß mit seiner Mutter Merope eingehen.
Schwab Erster Teil / Fünftes Buch / Kapitel 1 / Absatz 2