Berg Phikeion, bei Theben, Böotien
Nicht lange Zeit, nachdem dieses geschehen, war vor den Toren der Stadt Thebe in Böotien die Sphinx erschienen, ein geflügeltes Ungeheuer, vorn wie eine Jungfrau, hinten wie ein Löwe gestaltet. Sie war eine Tochter des Typhon und der Echidna, der schlangengestalteten Nymphe, der fruchtbaren Mutter vieler Ungeheuer, und eine Schwester des Höllenhundes Cerberus, der Hyder von Lerne, und der feuerspeienden Chimäre. Dieses Ungeheuer hatte sich auf einen Felsen gelagert, und legte dort den Bewohnern von Thebe allerlei Rätsel vor, die sie von den Musen erlernt hatte. Erfolgte die Auflösung nicht, so ergriff sie denjenigen, der es übernommen hatte, das Rätsel zu lösen, zerriß ihn und fraß ihn auf. Dieser Jammer kam über die Stadt, als sie eben um ihren König trauerte, der, — Niemand wußte von wem — auf einer Reise erschlagen worden war, und an dessen Stelle Kreon, Bruder der Königin Jokaste, die Zügel der Herrschaft ergriffen hatte. Zuletzt kam es, daß dieses Kreon eigener Sohn, dem die Sphinx auch ein Rätsel aufgegeben, und der es nicht gelöst hatte, ergriffen und gefressen worden war. Diese Not bewog den Fürsten Kreon, öffentlich bekannt zu machen, daß demjenigen, der die Stadt von der Würgerin befreien würde, das Reich, und seine Schwester Jokaste als Gemahlin zu Teil werden sollte.
Schwab Erster Teil / Fünftes Buch / Kapitel 2 / Absatz 1